27.03.2012, Press A.B.: Eine Frage des sozialen Friedens

Artkiel von hier

De­litzsch – Eine Stadt vor der ei­gent­lich sel­ten die Rede ist. Je­doch am 18.​03. kam es zu einem „schwe­ren Über­griff von Neo­na­zis auf Be­su­che­rIn­nen eines Ska-​Kon­zer­tes“, so in einem Auf­ruf zu einer De­mons­tra­ti­on „Na­zi­ter­ror ent­ge­gen­tre­ten“ am ver­gan­ge­nen Sonn­tag. Der Ober­bür­ger­meis­ter steht dem „Ge­sche­hen vom ver­gan­ge­nen Wo­chen­en­de mit Ent­set­zen ge­gen­über“ und wehrt sich gegen das brau­ne Image sei­ner Stadt.

Eine Schar glatz­köp­fi­ger Män­ner steht hin­ter einem Trans­pa­rent mit der Auf­schrift „Skin­heads Leip­zig“. Über­all am Bahn­hof ste­hen Po­li­zei­be­am­te. Eine Neo­na­zi-​De­mons­tra­ti­on könn­ten viele jetzt den­ken. Weit ge­fehlt. Der An­lass ist ein Über­griff auf Be­su­cher_in­nen im An­schluss eines Ska-​Kon­zer­tes. „Bei der kör­per­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung wurde ein tsche­chi­scher Staats­bür­ger(33) mas­siv am Kopf schwer ver­letzt. Eine wei­te­re Teil­neh­me­rin (30) aus De­litzsch er­hielt einen Schlag gegen den Kopf.“, so die Mel­dung der Op­fer­be­ra­tung zur Un­ter­stüt­zung für Be­trof­fe­ne rechts­mo­ti­vier­ter und ras­sis­ti­scher Ge­walt. Auf der De­mons­tra­ti­on wurde immer wie­der Sorge ge­äu­ßert, dass der tsche­chi­sche Staats­bür­ger wahr­schein­lich auf dem rech­ten Auge er­blin­den werde.

Die circa 250 Teil­neh­mer_in­nen der De­mons­tra­ti­on sind wü­tend über die Si­tua­ti­on. Be­son­ders em­pört sind sie über den im Raum ste­hen­den Vor­wurf ge­gen­über Stadt­ver­tre­ter_in­nen, sie würde dem Kon­zert­ver­an­stal­ter die Schuld des Über­griffs zu­schie­ben und er hätte mit dem Aus­schluss von Neo­na­zis den so­zia­len Frie­den ge­fähr­det. Für den Ober­bür­ger­meis­ter ist diese Be­haup­tung „gänz­lich un­wahr“. „Wir sind für ein fried­li­ches Mit­ein­an­der aller Kul­tu­ren und ste­hen dem Ge­sche­hen vom ver­gan­ge­nen Wo­chen­en­de mit Ent­set­zen ge­gen­über.“, so in einem schrift­li­chen State­ment. Wei­ter heißt es „De­litzsch ist keine Stadt, die An­hän­gern aus der rech­ten Szene eine Platt­form bie­tet.“. Die zahl­reich an­we­sen­den Neo­na­zis an der De­mons­tra­ti­ons­stre­cke er­we­cken einen an­de­ren Ein­druck. Auch die Neo­na­zi-​Pro­mi­nenz Maik Scheff­ler war an­we­send. Er sitzt als Frak­ti­ons­lo­ser für die NPD im De­litz­scher Stadt­rat. Neo­na­zis hat­ten eben­falls ver­sucht eine spon­ta­ne Ge­gen­de­mons­tra­ti­on an­zu­mel­den. Diese wurde al­ler­dings un­ter­sagt, be­stä­tig­te ein Mit­ar­bei­ter des Ord­nungs­am­tes.

Lange muss mensch nicht su­chen, um in De­litzsch Be­trof­fe­ne rech­ter Ge­walt zu fin­den. Eine An­woh­ne­rin hat es am ei­ge­nen Leib er­lebt. Sie und ihr Sohn durf­ten mit der lo­ka­len Na­zi-​Sze­ne Be­kannt­schaft ma­chen, weil ihr Sohn „ein Lin­ker“ ist. Ver­ständ­nis über die Lage gibt es durch aus in der Stadt. Sie ist al­ler­dings be­grenzt. Über die Tat vom 18. März hatte sie in der Zei­tung ge­le­sen und sie ist froh dar­über, dass ihr Sohn un­be­scha­det vom Kon­zert nach Hause ge­kom­men ist.

An­ders sieht es bei an­de­ren An­woh­ner_in­nen aus. Nichts ge­hört, Nichts ge­se­hen und Nichts ge­le­sen. Ein Äl­te­res Ehe­paar, wel­ches an der Seite steht, in­ter­es­sie­re sich nicht für sol­che Leute – ge­meint sind Nazis –, des­halb ken­nen sie auch keine. Allzu gro­ßes In­ter­es­se muss aber nicht auf­ge­wen­det wer­den. Die lo­ka­le Na­zi-​Sze­ne ist durch­aus be­kannt. In der Schu­le, im Be­kann­ten­kreis oder ein­fach nur in der Stadt kann sie re­gel­mä­ßig an­ge­trof­fen wer­den, so An­woh­ner_in­nen.

Der Name Scheff­ler sagt ei­ni­gen etwas. Einem Mann an der Start­kund­ge­bung fällt dabei ein „der ist doch bei der NPD“. Über Freie Ka­me­rad­schaf­ten oder sons­ti­ge Neo­na­zi-​Ak­ti­vi­tä­ten weiß er nichts. Für ihn steht fest: „Er hat seine Mei­nung und ich meine“. Vom Über­griff hat er eben­falls nichts mit­be­kom­men. Er hat es ge­ra­de eben durch die De­mons­tra­ti­on er­fah­ren. Kri­tisch sieht er das Front­trans­pa­rent der an­ti­fa­schis­ti­schen De­mons­tra­ti­on „An­ti­fa heißt An­griff – das ist doch ein Auf­ruf zu Straf­ta­ten“, aber „gegen NPD und Ka­me­rad­schafts­struk­tu­ren“ das geht. So­lan­ge es kein Rich­ter­spruch gibt zu der ver­gan­gen Tat, sieht der De­litz­scher kei­nen Zu­sam­men­hang mit Neo­na­zis­mus. We­sent­lich ver­är­ger­ter, als über den Über­griff, ist er über die Äu­ße­run­gen vom Laut­spre­cher­wa­gen. „Hier wird De­litzsch als Nest be­zeich­net. De­litzsch ist eine Groß­stadt“ sagt er im wü­ten­den Ton.

Die Lage wird von der Po­li­zei nicht auf die leich­te Schul­ter ge­nom­men. Schon al­lei­ne wegen der ge­rin­gen An­zahl von Po­li­zei­ein­hei­ten. Sogar der säch­si­sche Po­li­zei­prä­si­dent Bernd Mer­bitz ist an­we­send. Er ist an die­sen Tag dies­mal nicht zu­stän­dig, sagt er im Ge­spräch. Er will na­tür­lich eine fried­li­che Ver­an­stal­tung. Für ihn ist die Stim­mung son­nig, „so wie das Wet­ter“. Ganz so son­nig ist die Stim­mung für an­ge­reis­te De­mons­tran­t_in­nen aus Leip­zig nicht. Die grö­ße­re Grup­pe wird ein­zeln nach und nach von Be­am­t_in­nen kon­trol­liert. Kei­ne_r kommt von ihnen zur Ver­samm­lung ohne eine Vor­kon­trol­le. Warum die Kon­trol­len in die­sen Maße voll­zo­gen wer­den, be­grün­det der Ein­satz­lei­ter Star­ke zur Vor­beu­gung der Mit­nah­me ge­fähr­li­cher Ge­gen­stän­de. Bei De­mons­tra­tio­nen sind stich­pro­ben­ar­ti­ge Vor­kon­trol­len durch aus üb­lich, hin­ge­gen kom­plet­te Kon­trol­len grö­ße­rer Per­so­nen­grup­pen nicht. Ein Hin­weis auf eine be­son­de­re Ge­fah­ren­la­ge die von die­ser Grup­pe aus­ge­he, würde dies al­ler­dings recht­fer­ti­gen. Star­ke stell­te die Maß­nah­me eher als Nor­ma­li­tät dar. Auf kon­kre­te An­fra­ge, ob die Po­li­zei von einer sol­chen Ge­fah­ren­la­ge aus­ge­he, woll­te er nicht mehr ant­wor­ten.

Eine an­de­re po­li­zei­li­che Maß­nah­me am Ende der Ver­samm­lung führ­te fast zu einer Es­ka­la­ti­on. Ein jun­ger Mann wurde in ein Po­li­zei­wa­gen ver­bracht und an­schlie­ßend weg­fah­ren. Ab­ge­ord­ne­te des säch­si­schen Land­ta­ges, die ver­such­ten die Si­tua­ti­on zu klä­ren, wurde von Be­am­t_in­nen zur Seite ge­schubst. Tho­mas Kind, Mit­glied des säch­si­schen Land­ta­ges für Die Linke, nahm es zum An­lass beim Ein­satz­stab di­rekt nach zu haken. Auf Nach­fra­gen von Kind, warum der Be­schul­dig­te mit­ge­nom­men wurde, er­klär­te Star­ke, dass seine Iden­ti­tät fest­ge­stellt wer­den muss­te auf­grund des Ver­dach­tes einer Straf­tat. Be­an­stan­det wurde die Auf­schrift ACAB, eine weit ver­brei­te­te Ab­kür­zung für All Cops Are Bas­tards. Keine schö­ne Äu­ße­rung für die Po­li­zei­be­am­t_in­nen, je­doch eine Straf­tat im Sinne einer Be­lei­di­gung? Dar­über gibt es durch­aus an­de­re ju­ris­ti­sche Auf­fas­sun­gen. Das Ober­lan­des­ge­richt Stutt­gart hat 2008 in einem Ur­teil dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die bloße Auf­schrift eine Kol­lek­tiv­be­zeich­nung dar­stel­le und somit straf­los sei. Star­ke er­wähnt auch im Ge­spräch, dass die Iden­ti­tät des Be­schul­dig­ten be­reits wäh­rend der Ver­samm­lung fest­ge­stellt wurde. Die Be­am­t_in­nen konn­te als also durch­aus wis­sen, wes­sen Iden­ti­tät sie hier auf Neue fest­stell­ten. Für Kind ein Akt der Es­ka­la­ti­on. Ver­hält­nis­mä­ßig­keit sieht für ihn an­ders aus, be­son­ders da er die Schnel­lig­keit der Po­li­zei­ar­beit Auf­grund eines kürz­lich ver­gan­gen De­lik­tes zu Las­ten sei­ner­seits noch in Er­in­ne­rung hat.

Wie auch eine po­li­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung des Ge­sche­hens im Zu­sam­men­hang mit dem Über­griff und dem Ver­hal­ten ein­zel­ner Ver­ant­wort­li­cher aus­se­hen möge, einen Trost oder eine Ent­las­tung für die Be­trof­fe­nen rech­ter Ge­walt in De­litzsch dürf­te es we­ni­ger dar­stel­len.

Dieser Beitrag wurde unter Demo 25.03.2012, Presse abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.