Unbekannte schmierten in der Nacht zum 6. März drei seitenverkehrte Hakenkreuze auf Bäume des örtlichen Friedhofs.
05.03.2012: Hakenkreuz-Schmierereien in Delitzsch
27.03.2012, Press A.B.: Eine Frage des sozialen Friedens
Artkiel von hier
Delitzsch – Eine Stadt vor der eigentlich selten die Rede ist. Jedoch am 18.03. kam es zu einem „schweren Übergriff von Neonazis auf BesucherInnen eines Ska-Konzertes“, so in einem Aufruf zu einer Demonstration „Naziterror entgegentreten“ am vergangenen Sonntag. Der Oberbürgermeister steht dem „Geschehen vom vergangenen Wochenende mit Entsetzen gegenüber“ und wehrt sich gegen das braune Image seiner Stadt.
Eine Schar glatzköpfiger Männer steht hinter einem Transparent mit der Aufschrift „Skinheads Leipzig“. Überall am Bahnhof stehen Polizeibeamte. Eine Neonazi-Demonstration könnten viele jetzt denken. Weit gefehlt. Der Anlass ist ein Übergriff auf Besucher_innen im Anschluss eines Ska-Konzertes. „Bei der körperlichen Auseinandersetzung wurde ein tschechischer Staatsbürger(33) massiv am Kopf schwer verletzt. Eine weitere Teilnehmerin (30) aus Delitzsch erhielt einen Schlag gegen den Kopf.“, so die Meldung der Opferberatung zur Unterstützung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt. Auf der Demonstration wurde immer wieder Sorge geäußert, dass der tschechische Staatsbürger wahrscheinlich auf dem rechten Auge erblinden werde.
Die circa 250 Teilnehmer_innen der Demonstration sind wütend über die Situation. Besonders empört sind sie über den im Raum stehenden Vorwurf gegenüber Stadtvertreter_innen, sie würde dem Konzertveranstalter die Schuld des Übergriffs zuschieben und er hätte mit dem Ausschluss von Neonazis den sozialen Frieden gefährdet. Für den Oberbürgermeister ist diese Behauptung „gänzlich unwahr“. „Wir sind für ein friedliches Miteinander aller Kulturen und stehen dem Geschehen vom vergangenen Wochenende mit Entsetzen gegenüber.“, so in einem schriftlichen Statement. Weiter heißt es „Delitzsch ist keine Stadt, die Anhängern aus der rechten Szene eine Plattform bietet.“. Die zahlreich anwesenden Neonazis an der Demonstrationsstrecke erwecken einen anderen Eindruck. Auch die Neonazi-Prominenz Maik Scheffler war anwesend. Er sitzt als Fraktionsloser für die NPD im Delitzscher Stadtrat. Neonazis hatten ebenfalls versucht eine spontane Gegendemonstration anzumelden. Diese wurde allerdings untersagt, bestätigte ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes.
Lange muss mensch nicht suchen, um in Delitzsch Betroffene rechter Gewalt zu finden. Eine Anwohnerin hat es am eigenen Leib erlebt. Sie und ihr Sohn durften mit der lokalen Nazi-Szene Bekanntschaft machen, weil ihr Sohn „ein Linker“ ist. Verständnis über die Lage gibt es durch aus in der Stadt. Sie ist allerdings begrenzt. Über die Tat vom 18. März hatte sie in der Zeitung gelesen und sie ist froh darüber, dass ihr Sohn unbeschadet vom Konzert nach Hause gekommen ist.
Anders sieht es bei anderen Anwohner_innen aus. Nichts gehört, Nichts gesehen und Nichts gelesen. Ein Älteres Ehepaar, welches an der Seite steht, interessiere sich nicht für solche Leute – gemeint sind Nazis –, deshalb kennen sie auch keine. Allzu großes Interesse muss aber nicht aufgewendet werden. Die lokale Nazi-Szene ist durchaus bekannt. In der Schule, im Bekanntenkreis oder einfach nur in der Stadt kann sie regelmäßig angetroffen werden, so Anwohner_innen.
Der Name Scheffler sagt einigen etwas. Einem Mann an der Startkundgebung fällt dabei ein „der ist doch bei der NPD“. Über Freie Kameradschaften oder sonstige Neonazi-Aktivitäten weiß er nichts. Für ihn steht fest: „Er hat seine Meinung und ich meine“. Vom Übergriff hat er ebenfalls nichts mitbekommen. Er hat es gerade eben durch die Demonstration erfahren. Kritisch sieht er das Fronttransparent der antifaschistischen Demonstration „Antifa heißt Angriff – das ist doch ein Aufruf zu Straftaten“, aber „gegen NPD und Kameradschaftsstrukturen“ das geht. Solange es kein Richterspruch gibt zu der vergangen Tat, sieht der Delitzscher keinen Zusammenhang mit Neonazismus. Wesentlich verärgerter, als über den Übergriff, ist er über die Äußerungen vom Lautsprecherwagen. „Hier wird Delitzsch als Nest bezeichnet. Delitzsch ist eine Großstadt“ sagt er im wütenden Ton.
Die Lage wird von der Polizei nicht auf die leichte Schulter genommen. Schon alleine wegen der geringen Anzahl von Polizeieinheiten. Sogar der sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz ist anwesend. Er ist an diesen Tag diesmal nicht zuständig, sagt er im Gespräch. Er will natürlich eine friedliche Veranstaltung. Für ihn ist die Stimmung sonnig, „so wie das Wetter“. Ganz so sonnig ist die Stimmung für angereiste Demonstrant_innen aus Leipzig nicht. Die größere Gruppe wird einzeln nach und nach von Beamt_innen kontrolliert. Keine_r kommt von ihnen zur Versammlung ohne eine Vorkontrolle. Warum die Kontrollen in diesen Maße vollzogen werden, begründet der Einsatzleiter Starke zur Vorbeugung der Mitnahme gefährlicher Gegenstände. Bei Demonstrationen sind stichprobenartige Vorkontrollen durch aus üblich, hingegen komplette Kontrollen größerer Personengruppen nicht. Ein Hinweis auf eine besondere Gefahrenlage die von dieser Gruppe ausgehe, würde dies allerdings rechtfertigen. Starke stellte die Maßnahme eher als Normalität dar. Auf konkrete Anfrage, ob die Polizei von einer solchen Gefahrenlage ausgehe, wollte er nicht mehr antworten.
Eine andere polizeiliche Maßnahme am Ende der Versammlung führte fast zu einer Eskalation. Ein junger Mann wurde in ein Polizeiwagen verbracht und anschließend wegfahren. Abgeordnete des sächsischen Landtages, die versuchten die Situation zu klären, wurde von Beamt_innen zur Seite geschubst. Thomas Kind, Mitglied des sächsischen Landtages für Die Linke, nahm es zum Anlass beim Einsatzstab direkt nach zu haken. Auf Nachfragen von Kind, warum der Beschuldigte mitgenommen wurde, erklärte Starke, dass seine Identität festgestellt werden musste aufgrund des Verdachtes einer Straftat. Beanstandet wurde die Aufschrift ACAB, eine weit verbreitete Abkürzung für All Cops Are Bastards. Keine schöne Äußerung für die Polizeibeamt_innen, jedoch eine Straftat im Sinne einer Beleidigung? Darüber gibt es durchaus andere juristische Auffassungen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat 2008 in einem Urteil darauf hingewiesen, dass die bloße Aufschrift eine Kollektivbezeichnung darstelle und somit straflos sei. Starke erwähnt auch im Gespräch, dass die Identität des Beschuldigten bereits während der Versammlung festgestellt wurde. Die Beamt_innen konnte als also durchaus wissen, wessen Identität sie hier auf Neue feststellten. Für Kind ein Akt der Eskalation. Verhältnismäßigkeit sieht für ihn anders aus, besonders da er die Schnelligkeit der Polizeiarbeit Aufgrund eines kürzlich vergangen Deliktes zu Lasten seinerseits noch in Erinnerung hat.
Wie auch eine politische Auseinandersetzung des Geschehens im Zusammenhang mit dem Übergriff und dem Verhalten einzelner Verantwortlicher aussehen möge, einen Trost oder eine Entlastung für die Betroffenen rechter Gewalt in Delitzsch dürfte es weniger darstellen.
Impressionen von der Demo und was danach noch alles geschrieben wurde
Noch ein paar Fotos von der Demo in Delitzsch. Weitere Fotos auch bei flickr. Die Pressemitteilung vom Antifaschistischen Netzwerk Leipziger Land hier. Weitere Presse zur Demonstration und alles was noch geschrieben oder in Interviews gesagt wurde, findet ihr bei Presse. Und wir wollen auch noch auf den Redebeitrag der Tornados hinweisen, hier. Nicht zu vergessen der „Deuse des Jahres“ für Delitzsch, wir drücken ganz fest die Daumen, damit es da dieses Jahr noch zu einer Verleihung kommt. Bleibt eigentlich nur zu sagen, schaut doch mal öfter in der braunen Provinz vorbei und helft den Menschen dort vor Ort. Für Nazis und ihre UnterstützerInnen darf es keine ruhige Minute geben, nicht in Delitzsch, Geithain, Mügeln oder anderswo.
01.04.2012, Blog: Nochmal Delitzsch
In der nordsächsischen Stadt Delitzsch hat der Naziübergriff vom 18.3. einiges ausgelöst. Auf Abwehrreflexe und Opfer-Täter-Verdrehung von Seiten der offiziellen Stadtpolitik folgte so massive Kritik, dass diese sich eifrig im Zurückrudern übt. An dieser Stelle seien ein Radiobeitrag, Presseartikel, der Redebeitrag der Ska-Band “Tornados” und Bilder der antifaschistischen Demonstration am 25.3.12 dokumentiert. Die weiteren Entwicklungen vor Ort werden aufmerksam beobachtet.
In Sachsen gleichen sich die Reaktionen von politisch Verantwortlichen auf Naziübergriffe und rechte Hegemonie immer wieder: Abwehrreflexe, Bagatellisierung, Entpolitisierung von Gewalt, Verdrehung von Opfer- und Täterrolle oder die Extremismuskeule. Maßstäbe dafür hat der Mügelner Bürgermeister Gotthard Deuse gesetzt: eine regelrechte Hetzjagd auf MigrantInnen während des Stadtfestes 2007 wurde von ihm bagatellisiert. Zuförderst verwahrte er sich gegen die Denunzierung seiner Stadt. Inzwischen gibt es einen neuen Anwärter für den nicht dotierten Preis: den Oberbürgermeister der nordsächsischen Stadt Delitzsch, Dr. Manfred Wilde.
Im Nachgang eines schweren Übergriffes von Nazis auf OrganisatorInnen und BesucherInnen eines Ska-Konzertes in Delitzsch am 18.3.2012 verurteilte dieser zwar die „Gewalttat“, vermied es allerdings den Hintergrund des Übergriffes zu benennen und diesen in Beziehung zum Normalzustand zu setzen– mehr noch, machte er den Veranstalter des Konzertes dafür verantwortlich, dass es dazu gekommen ist, denn der Ausschluss von Nazis von Konzertveranstaltungen, würde diese (die Nazis) provozieren und den „sozialen Frieden“ stören.
Mit einer antifaschistischen Demonstration fand die Solidarität mit den Betroffenen des Übergriffes, von dem einer am rechten Auge so schwer verletzt wurde, dass er auf diesem vielleicht nie wieder sehen kann, am 25.3. ihren vorläufigen Höhepunkt. Wie Stadtpolitik und BürgerInnenschaft, die bei der Demo weitestgehend fehlten, weiter mit der Problematik einer rechten Hegemonie in ihrer Stadt umgehen, ist derzeit offen. Die mediale Thematisierung und politische Interventionen scheinen zumindest soviel Druck erzeugt zu haben, dass ein Totschweigen nicht mehr möglich ist.
Ob Dr. Manfred Wilde also Preisträger des „Deuse des Jahres“ wird, ist derzeit ungewiss.
>>> zum Radiobeitrag “Delitzsch in Nordsachsen – Anwärterin für den „Deuse des Jahres“
>>> Redebeitrag der Ska-Band “Tornados”
>>> Presseberichterstattung zu den Ereignissen in Delitzsch
>>> Eine Frage des sozialen Friedens (Press.AB, 27.3.2012)
31.03.2012, Radio Blau: Delitzsch in Nordsachsen – Anwärterin für den „Deuse des Jahres“
In Sachsen gleichen sich die Reaktionen von politisch Verantwortlichen auf Naziübergriffe und rechte Hegemonie immer wieder: Abwehrreflexe, Bagatellisierung, Entpolitisierung von Gewalt, Verdrehung von Opfer- und Täterrolle oder die Extremismuskeule. Maßstäbe dafür hat der Mügelner Bürgermeister Gotthard Deuse gesetzt: eine regelrechte Hetzjagd auf MigrantInnen während des Stadtfestes 2007 wurde von ihm bagatellisiert. Mit viel größerer Wehr verwahrte er sich gegen die Denunzierung seiner Stadt. Inzwischen gibt es einen neuen Anwärter für den nicht dotierten Preis: den Oberbürgermeister der nordsächsischen Stadt Delitzsch, Dr. Manfred Wilde.
Im Nachgang eines schweren Übergriffes von Nazis auf OrganisatorInnen und BesucherInnen eines Ska-Konzertes in Delitzsch am 18.3.2012 verurteilte dieser zwar die „Gewalttat“, vermied es allerdings den Hintergrund des Übergriffes zu benennen und diesen in Beziehung zum Normalzustand zu setzen– mehr noch, machte er den Veranstalter des Konzertes dafür verantwortlich, dass es dazu gekommen ist, denn der Ausschluss von Nazis von Konzertveranstaltungen, würde diese provozieren und den „sozialen Frieden“ stören.
Mit einer antifaschistischen Demonstration fand die Solidarität mit den Betroffenen des Übergriffes, von dem einer am rechten Auge so schwer verletzt wurde, dass er mit diesem vielleicht nie wieder sehen kann, am 25.3. ihren vorläufigen Höhepunkt. Wie Stadtpolitik und BürgerInnenschaft, die bei der Demo weitestgehend fehlten, weiter mit der Problematik einer rechten Hegemonie in ihrer Stadt umgehen, ist derzeit offen. Die mediale Thematisierung und politische Interventionen scheinen zumindest soviel Druck erzeugt zu haben, dass ein Totschweigen nicht mehr möglich ist.
Ob Dr. Manfred Wilde also Preisträger des „Deuse des Jahres“ wird, ist derzeit ungewiss.
Den Beitrag in voller länge hier anhören.
30.03.2012, Useless: Skanking with Nazis? Interview mit Veranstalter aus Delitzsch
Letzte Woche machte uns RADIO CORAX auf eine besonders heftige Schlagzeile aufmerksam. Nach einem Überfall von Neonazis auf Besucher eines Ska-Konzertes in Delitzsch forderte die Stadtverwaltung/Bürgermeister/Polizei den Veranstalter dazu auf, keine weiteren Konzerte unter dem Motto „No Skanking with Nazis“ zu machen und auch Nazis den Zugang zu seinen Konzerten zu gewähren…
Unfassbar klingt nicht nur die Pressemitteilung, sondern auch das, was Veranstalter Toni vom Gespräch mit der Stadtverwaltung zu berichten hatte.
Wir sprachen ein paar Tage später mit ihm über die Lage in Delitzsch und über die Zukunft seiner Konzerte…
Das Interview bei Useless:
Hallo Toni, wie ist der aktuelle Stand der Dinge in Delitzsch?
Der aktuelle Stand, ja schwer zu sagen. Wir haben am Sonntag eine Demo gemacht, die auch ziemlich erfolgreich war. ( lvz-online.de )
Wie fühlt man sich, wenn Polizei, Bürgermeister und Vertreter des DRK einem bei einer solchen Sache in den Rücken fallen?
Verloren, angepisst, zurückgelassen, verarscht und und und…
Die Story hat ja auf Facebook große Wellen geschlagen, in wie weit nutzt dir das?
Die Menschen sollen sehen, dass wir doch ein riesen Problem mit Nazis haben und das nicht nur seit diesem Wochenende…
Die Stadt Delitzsch hat ein schwammiges Statement auf ihrer Facebook Seite verfasst, in dem sie sich von dem distanziert, was du im Radio erzählt hast und dich somit indirekt als Lügner bezeichnet. Auf der anderen Seite wird behauptet, man wäre eine Stadt der Kulturen. Hast du nochmal etwas von der Stadt/Bürgermeister gehört? Wie stehst du zu diesem Statement?
Auszug aus dem Statement der Stadt Delitzsch auf ihrer Facebook-Seite:
“Es kursieren einzelne Behauptungen, die Stadt Delitzsch und der Delitzscher Oberbürgermeister Dr. Manfred Wilde hätten bei einem Gespräch mit dem Konzertveranstalter diesem mitgeteilt, dass derartige Konzerte in Delitzsch nicht mehr stattfinden dürften und die Betroffenen selbst Schuld an dem Vorfall seien. Diese Behauptungen sind gänzlich unwahr. Der Oberbürgermeister und die Stadt Delitzsch verwahren sich gegen jede Form extremistischer Gewalt, insbesondere aus dem rechten Spektrum. “Wir sind für ein friedliches Miteinander aller Kulturen und stehen dem Geschehen vom vergangenen Wochenende mit Entsetzen gegenüber.” so Oberbürgermeister Dr. Manfred Wilde. “Delitzsch ist keine Stadt, die Anhängern aus der rechten Szene eine Plattform bietet. Wir sind bunt und möchten dies auch bleiben!” |
Die Stadt hat nur dieses eine Statement gegeben… Ich habe sie auch nochmal über Facebook gefragt oder besser gesagt meinen Senf dazu gegeben…
Die Stadt reagierte bisher aber nicht auf die Kommentare auf Facebook. Wie siehst du das “friedliche Miteinander aller Kulturen” im Alltag in Delitzsch, wie es die Stadt in ihrem Statement so schön beschreibt? Wie ist der Alltag?
Der Alltag in der Woche ist ganz schön, wenn man arbeiten geht und uf de Couch geht… will man aber mal in eine Kneipe, kann man sich nie sicher sein was passiert…
Wie wird es für dich als Veranstalter weitergehen? Was planst du?
Ich möchte auf jeden Fall 1-2 Soli Konzerte planen und schauen, was die Stadt dazu beiträgt… Mal schauen was möglich ist, was sich ergibt… Ich möchte gerne in meiner Heimatstadt weiter Konzerte veranstalten… Auch unter gewissen Mottos “no skanking with Nazis”, „Love music – hate facism” usw.
Hast du Angst vor den nächsten Veranstaltungen?
Auf jeden Fall, man kann sich nie sicher sein…
Wie kann man dich in deinem Kampf weiter unterstützen?
Wenn ich das wüsste. Die Frage habe ich schon des Öfteren bekommen… Es wird demnächst ein Spenden-Konto für die Betroffenen geben…
Über weitere Neuigkeiten und Konzerte von Toni werden wir euch hier auf dem Laufenden halten! Eure Meinung dazu? Vielleicht hier posten:
Facebookseite der Stadt Delitzsch: https://www.facebook.com/StadtDelitzsch
Redebeitrag der Tornados auf der Demonstration
Stellungnahme der Tornados:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir sind hier zur Demonstration erschienen um uns mit Toni, dem Veranstalter des Ska – Konzertes letzter Woche und seinen Freunden zu solidarisieren, die feige von Neonazis angegriffen wurden. Die Tornados haben aufgrund ihrer Geschichte in dieser Stadt einige Erfahrungen sammeln können. Dabei wird vor allem eines deutlich: Seit Ende der Neunziger bis Anfang 2000 hat sich die Politik und das Verhalten der Stadt Delitzsch gegenüber Opfern faschistischer Übergriffe nicht geändert! Die Opfer werden immer noch zu Tätern gemacht.
Anstatt die wenigen Verbliebenen, die sich gegen den rechten Mainstream wehren zu fördern und sie zu schützen, werden sie im Namen der Ruhe und Ordnung aufgefordert ihre Aktivitäten einzustellen und dem rechten Mob den öffentlichen Raum zu überlassen, damit nur ja keine Unruhe aufkomme. Die Veranstaltung am Samstag war einer der wenigen mutigen Versuche, diesen Sumpf zu durchbrechen. Indem wir Musik machen, Spaß haben, tanzen, skanken, um genau zu sein. Aber eben nicht mit Nazis!!!
Das reicht um den Bürgermeister dieser so ruhigen Stadt und seine Verwaltung dazu zu bringen schon wieder – genau wie in den 90ern – offen darüber nachzudenken Ska-, Punk– oder sonstige Konzerte unter Ausschluss von Nazis zu verbieten.
Aber was ist eigentlich SKA? Und was heißt „No Skanking with Nazis“, ein Motto der Veranstaltung am Samstag? Den meisten unserer DemoteilnehmerInnen müssen wir das ja nicht erklären, also nochmal für die Stadtverwaltung Delitzsch – Kurz und knapp sind Ska und Reggae jamaikanische Musik von und für das einfache Volk und verbinden verschiedenste Musikrichtungen und Kulturen in einem unverwechselbaren Groove, ähnlich dem Jazz. „Skanking“ ist der dazugehörige Tanzstil. Mit „No Skanking with Nazis“ wollen wir zeigen, das wir mit allen offenen und toleranten Menschen, die Spaß an der Musik und Interesse an Kultur haben, feiern wollen, aber nicht mit Rassisten, Faschisten und Nationalsozialisten. Wer sich für die Herrenrasse hält, halte sich an deutsche Marsch- oder Volksmusik.
Warum wurden wir eigentlich nach Delitzsch eingeladen?
Diese Frage ist leicht zu beantworten. Wir haben uns Mitte der Neunziger in Delitzsch gegründet und hatten 10 Jahre unseren Proberaum im Jugendzentrum “Die Villa“ und im Westclub, indem auch Konzerte namhafter internationaler Bands stattfanden. Schon damals hatten wir öfter mit Angriffen durch Nazis zu tun und jedes Mal sahen Polizei und Stadtverwaltung uns bzw. die „Villa“ als Provokateure und eigentliche Auslöser der Überfälle. Einige alte Tornados kamen aus Delitzsch, ein Gründungsmitglied wohnt immer noch hier. Der Rest hat sich durch die untragbare Situation mit den Neonazis und dem jugendkulturellen Verfall lieber in die Großstadt verzogen.
An vielen Wochenenden sind wir mittlerweile weiter entfernt unterwegs um gute Laune für Freunde der Ska-Musik zu verbreiten. Aber aller paar Jahre zieht’s uns nochmal in die Gründerstadt der Tornados. Alte Freunde treffen, neue Lieder präsentieren und „skanken“. Und es hat auch am Samstag wieder sehr viel Spaß gemacht. Einige von unseren älteren Bandmitgliedern die die schöne Zeit in Delitzsch erlebt haben, erinnerten sich daran, das Delitzsch einmal ein Hochburg für subkulturelle Konzerte war.
Nun werden wir als Musiker und Toni als Veranstalter wieder als die eigentliche Ursache der Gewalt dargestellt. Das ist eine absolut gefährliche Verdrehung von Anlass und Ursache! Wer so argumentiert macht sich zum Apologeten der national befreiten Zone! Wenn Ruhe und Ordnung und die “Sicherung des sozialen Friedens” höher stehen als die Freiheit selbstbestimmte Konzerte ohne Nazis durchzuführen, überlässt man dem Nazipack kampflos das Feld! Dann gibt es vielleicht bald ein Schild am YOZ, das uns einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt: „Ska tanzen verboten“! Doch wir lassen uns das „skanken“ nicht verbieten.
Liebe DelitzscherInnen, Lieber Toni, kämpft weiter für eine freie Jugendkultur und laßt Euch von dem braunen Sumpf und feigen OrdnungspolitikerInnen nicht zwangsverbannen. Setzt Euer Recht auf selbstbestimmte, antifaschistische Kulturveranstaltungen durch.
Wir Tornados, und mit uns viele andere KünstlerInnen und Künstler, stehen bereit um euch dabei zu unterstützen,
Wir als Band Die Tornados fordern die Stadt Delitzsch auf:
endlich etwas gegen diese Verhältnisse zu tun. Die Opfer nicht zu verurteilen sondern zu schützen, und nicht Musiker, Bands , Djs und Veranstalter, die sich für eine offene und antirassistische Gesellschaft einsetzen, als eigentliche TäterInnen zu diffamieren, zu beleidigen und die Opfer rechter Gewalt zu verhöhnen.. Schaffen Sie offene Räume, Kulturstätten und Konzerträume für Jugendliche, die nichts mit Rassismus und Faschismus zu tun haben wollen anstatt die Ideologie der national befreiten Zonen durch ihre Feigheit zu unterstützen.
Wagen sie, sich den Problemen in ihrer Stadt zu stellen, die Augen für die soziale Realität zu öffnen und beginnen sie mit den Opfern dieser Realität zu reden! Dann brauchen sie in Zukunft auch trotz Nazis und NSU-Kontakte in ihrer Stadt keine Angst mehr vor schlechter Presse zu haben, die Ihnen ja so tief in den Knochen zu stecken scheint!
Kopf einziehen hilft nicht! Schaffen sie von Nationalisten befreite Zonen! Oder helfen Sie wenigstens denen, die dazu in ihrer Stadt – noch! – bereit sind!
26.03.2012, Mephisto: Opfer werden zu Tätern erklärt
Ein Kommentar von Elisabeth von Yorck.
Rechtsextremismus, Neonazis, Angriffe auf Antifaschisten – Worte, die derzeit in den Medien sehr präsent sind. Gerade in Sachsen sind die NPD und ihre Anhänger oft Thema. Gewalt gegen Linke keine Seltenheit. Weggeschaut oder dementiert wird trotzdem. So zum Beispiel scheinbar in Delitzsch.
Überfall auf Konzertorganisator
In der Nacht auf den 18. März haben Unbekannte nach einem SKA-Konzert acht Männer und Frauen angegriffen. Unter den Opfern war auch der Konzertorganisator. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen, einen rechtsradikalen Hintergrund schließt sie nicht aus. Augenzeugen zufolge seien die Täter bekannte Rechtsextremisten aus Delitzsch.
Stadt soll Opfer die Schuld am Überfall geben
Nach Angaben des Konzertorganisators habe daraufhin die Stadt ihn als verantwortlich für den Überfall erklärt. Inzwischen hat die Stadt diese Darstellung dementiert. Hoffentlich hat sie damit Recht, denn sonst wäre die Reaktion auf den Vorfall skandalös. Opfer würden zu Tätern erklärt.
(Audiobeitrag bei Mephisto)
24.3.2012, Publikative.org: Kein Konzert mehr ohne Nazis?
Bei einem Überfall auf mehrere Konzertbesucher sowie -veranstalter in Delitzsch (Sachsen) in der Nacht vom 17. auf den 18. März sind mehrere Personen teils schwer verletzt worden. Ein junger Mann aus Tschechien könnte sogar teilweise sein Augenlicht verlieren, er liegt noch immer im Krankenhaus. Die Stadt zieht offenbar ihre ganz eigenen Schlüsse aus dem rechtsextremen Überfall: Konzerte, zu denen Neonazis nicht kommen dürfen, solle es nicht mehr geben. Die Stadt weist die Darstellung zurück.
Radio Corax schreibt in einer Pressemitteilung, die Aufarbeitung des Überfalls seitens der Stadtverwaltung sei skandalös. So sei der Veranstalter des Ska-Konzertes in die Stadtverwaltung geladen worden, dort hätten ihm Vertretern des Ordnungsamtes, der Polizei sowie der Bürgermeister und der Oberbürgermeister der Stadt Delitzsch eröffnet, dass er zukünftig keine Konzerte mehr in der Stadt veranstalten solle, bei denen Neonazis ausgeschlossen würden.
Zudem warfen ihm die Stadtvertreter den Angaben zufolge vor, er trüge die eigentliche Verantwortung für den Überfall und stelle durch sein Bekenntnis, dass Nazis auf von ihm veranstalteten Konzerten unerwünscht seien, eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ und des “sozialen Friedens” in Delitzsch dar. “Anstatt ein klares Bekenntnisses zu einer Vielfalt der Jugendkulturen und gezielten Maßnahmen um die Situation in der Stadt zu ändern, spielt die Stadtverwaltung den Neonazis in die Hände, indem sie alternative bzw. nicht-rechte Jugendkultur unmöglich macht”, kommentiere Radio Corax, und weiter: “Der vermeintliche Lösungsansatz ist so einfach wie skandalös: Ohne existierende “Feindbilder” gebe es folglich auch keine rechte Gewalt. Weiterhin wird seitens der Behörden versucht, eine für Sonntag angemeldete antifaschistische Demonstration in Delitzsch im Sinne der “Wahrung des sozialen Friedens” zu verhindern.”
Die Stadt wies diese Darstellung mittlerweile zurück: “Es kursieren einzelne Behauptungen, die Stadt Delitzsch und der Delitzscher Oberbürgermeister Dr. Manfred Wilde hätten bei einem Gespräch mit dem Konzertveranstalter diesem mitgeteilt, dass derartige Konzerte in Delitzsch nicht mehr stattfinden dürften und die Betroffenen selbst Schuld an dem Vorfall seien. Diese Behauptungen sind gänzlich unwahr.”
“Es macht auch keinen Spaß mehr”
Der Konzertveranstalter Tony Müller erklärte in einem Interview, nach dem Konzert hätten mindestens 20 Neonazis mehrere Personen schwer verletzt, ein Freund aus Tschechien sei mit einer Flasche oder mit einem Schlagring am Auge schwer verletzt worden, so dass er möglicherweise die Sehkraft auf einem Auge verliert. Es sei ohnehin sehr schwierig, als Linker in Delitzsch zu leben, so Müller. Es gebe dort eine sehr große Szene von Neonazis, die Zahl nehme zu. “Es macht auch keinen Spaß mehr”, so Müller, “was jetzt noch passiert, weiß man nicht.” Immerhin sei ihm viel Hilfe angeboten worden, lokale Medien hätten sich aber kaum um den Vorfall gekümmert. Müller stellte es offen in Frage, ob er es sich weiter zutrauen könne, Konzerte oder sogar eine Demonstration zu veranstalten.
Müller dankte der Polizei, die in diesem konkreten Fall sofort ermittelt und versucht hat, die Täter zu identifizieren. Die Staatsschutzabteilung der Polizei hat Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs und schwerer Körperverletzung eingeleitet. Eine Anfrage an die Stadt zu der Sache läuft derzeit.
Delitzsch hat seit vielen Jahre ein Nazi-Problem und auch der Umgang mit diesem hat in der sächsischen Kleinstadt Tradition. Im Jahr 2000 wollte der delitzscher Jugendverein “Die Anderen e.V.” eine Veranstaltung im örtlichen Jugendhaus YOZ durchführen. Das Konzert sollte unter dem dem Motto “Gegen Faschismus” stattfinden, was von der Stadtverwaltung mit der Begründung, es handele sich um eine “politische Agitationsveranstaltung” verboten wurde. Nach einer Klage des Vereins gegen dieses Veranstaltungsverbot wurde vom Leipziger Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Kurs der Verwaltung rechtswidrig ist und in Folge des Urteils mußte die Stadt Delitzsch die Räumlichkeiten zur Verfügung stellen.
Aus Delitzsch kommt auch Maik Scheffler, der NPD-Vize von Sachsen, der in den vergangenen Wochen beim Konflikt zwischen Partei und “Freien Kräften” aus der Region eine zentrale Rolle spielte.
Junge Welt 28.03.2012: Party nur mit Neonazis
Von Kerem Schamberger
Es sollte ein Konzert zum zwölfjährigen Bestehen des Jugendzentrums YOZ der Stadt Delitzsch in Sachsen werden, als am frühen Morgen des 18. März der Veranstalter und Gäste des Konzerts von Neonazis überfallen und verprügelt wurden. Mehrere Personen wurden schwer verletzt, unter anderem ein junger Mann aus Tschechien. Dieser mußte bisher dreimal im Leipziger Krankenhaus operiert werden, es besteht die Gefahr, daß er auf einem Auge erblindet. Warum die Neonazis das Ska-Konzert überfielen, ist nicht bekannt. Vermutlich störten sie sich an der antifaschistischen Ausrichtung. So stand auf dem Werbeflyer ausdrücklich, daß mit Neonazis nicht getanzt werde. Am vergangenen Donnerstag kam es zu einem Gespräch der Stadtverwaltung mit dem Veranstalter. Dort eröffneten ihm Vertreter des Ordnungsamtes, der Polizei sowie der Delitzscher Bürgermeister, daß es zukünftig keine Konzerte mehr in der Stadt geben solle, bei denen Rechte ausgeschlossen werden. Laut Kommune seien diese durch die Intoleranz des Veranstalters provoziert worden. Dies berichtete das in Halle ansässige Radio Corax, das mit dem Organisator in engem Kontakt steht. Die Stadtvertreter behaupteten weiter, der Veranstalter trüge die eigentliche Verantwortung für den Überfall. Er stelle durch sein Bekenntnis, daß Neofaschisten auf seinen Konzerten unerwünscht seien, eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des sozialen Friedens in der Stadt dar, so das Radio. Für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen waren Vertreter des 26000-Einwohner-Ortes nicht zu erreichen.
Als Reaktion auf die Übergriffe der Rechtsextremen veranstaltete das Antifaschistische Netzwerk Leipziger Land am vergangenen Sonntag eine Demonstration in Delitzsch unter dem Motto »Naziterror entgegentreten. Immer und überall«, an der 300 Menschen teilnahmen. Auch hier sorgte die Stadt für Aufregung. So stellte sie einen Auflagenbescheid aus, der unter anderem das Tragen von Springerstiefeln und Fackeln verbot. Solche Auflagen werden sonst nur für Neonaziaufmarsch erlassen. Erst durch eine Klage gegen den Bescheid konnte die Rücknahme der meisten Auflagen erwirkt werden. Begleitet wurde die Demo nicht nur von der Polizei, sondern auch von 60 Neonazis, die die Kundgebung immer wieder zu stören versuchten. Es kam jedoch zu keinen direkten Auseinandersetzungen, allerdings wurde ausgerechnet der Veranstalter des Konzertes, dessen Freundin ebenfalls bei dem Angriff der Neonazis verletzt worden war, von der Polizei in Gewahrsam genommen, da er einen Aufnäher mit den Buchstaben ACAB (All Cops Are Bastards) getragen haben soll.
Der restriktive Umgang der Stadt mit Menschen, die sich gegen rechts engagieren, hat Tradition. Bereits im Jahr 2000 wollte der Delitzscher Jugendverein »Die Anderen e.V.« eine Veranstaltung im YOZ durchführen. Es sollte ein Konzert unter dem dem Motto »Gegen Faschismus« stattfinden, welches von der Kommunalverwaltung mit der Begründung, es handele sich um eine »politische Agitationsveranstaltung«, verboten wurde. Auch hier konnte erst durch eine Klage festgestellt werden, daß dies rechtswidrig war.
Es ist eindeutig, daß es vor Ort ein Neonaziproblem gibt. So sitzt der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Sachsen, Maik Scheffler, im Delitzscher Stadtrat. Er gilt als Begründer der Neonaziverbindung »Freies Netz« und Vermittler zwischen NPD und »freien Kräften«. Im Jahr 2009 verkündete er, daß er den Landkreis Nordsachsen zur »zweiten Sächsischen Schweiz der NPD« machen wolle.